Gefährlicher Hund: aggressiv oder nur falsch verstanden?

Kaum ein Thema polarisiert so sehr wie das aggressive Verhalten eines Hundes. Aussagen wie „Der ist gefährlich!“ oder „Schau mal, wie aggressiv dein Hund ist!“ hören viele Hundehalter, sobald ihr Hund knurrt, schnappt oder seine Zähne zeigt. Doch hier sollte Aufklärung an erster Stelle stehen. Denn nur wenn du als Hundehalter mehr zum Thema Aggression weißt und bei deinem Hund Anzeichen erkennen kannst, bist du in der Lage, auch zu reagieren bzw. vorzubeugen, um deinen Hund als auch dein Umfeld zu schützen. Es ist also wichtig, sich mit der Materie "Gefährlicher Hund" auseinander zu setzen.

Hündisches Verhalten – normal und doch befremdlich

Hunde beißen, knurren und fletschen ihre Zähne. Dabei kann das Beißen vor allen Dingen nicht nur weh tun, sondern je nach Situation gefährlich werden. Es mag im Welpenalter für viele vielleicht noch süß wirken, wenn der kleine Mops mit seinen Milchzähnen an der Hand knabbert. Bei größeren Hunden kann dieses Knabbern allerdings schon richtig schmerzen. Wird dann nichts unternommen, um dieses Verhalten zu unterbrechen, kann der Hund nicht lernen, was erlaubt ist und was nicht. Mit dem Erlernen der Beißhemmung wird eine gute Basis für das zukünftige Hundeleben gelegt. Der Hund lernt, viel sensibler mit seinen Zähnen zu agieren und diese situativ individuell einzusetzen.

Wichtig ist das Verständnis, dass Aggressionen zum natürlichen Verhaltensrepertoire eines Hundes gehören. Sie dienen nicht nur der Kommunikation, vielmehr sind sie Bestandteil des normalen Sozialverhaltens eines Hundes. Das mag vielleicht nicht gleich ersichtlich sein, wenn der Nachbarshund bellend und knurrend am Gartenzaun steht. Aus Hundesicht ist dieses Verhalten jedoch sinnvoll und gerechtfertigt. Denn hierbei geht es zum Beispiel um sein Territorium und er hat Sorge, dieses zu verlieren. Der Clou ist, wie wir Menschen mit solch einer Situation umgehen können. Schließlich wurden viele Rassen beispielsweise extra dafür gezüchtet, um Hab und Gut zu beschützen. In der heutigen Zeit leben wir mit vielen Menschen auf engem Raum zusammen. Da fällt es uns manchmal umso schwerer zu akzeptieren, wenn unsere Hunde ihren ursprünglichen Aufgaben nachgehen wollen.

Hunde zeigen Aggressionsverhalten in mehreren Abstufungen mit vielen feinen Nuancen. So kann es erste Drohsignale geben bis es letztlich in einem Ernstkampf enden könnte. Diese vielen Abstufungen sollen helfen Verletzungen oder sogar den Tod eines Gruppenmitglieds zu vermeiden. Schließlich soll ein Konflikt in der Gruppe nicht gleich das Zusammenleben erschweren oder unmöglich gestalten.

Gefährlicher Hund: Wann wird der Hund zur Gefahr?

Wenn sich ein Hund uns gegenüber aggressiv verhält, so fühlen wir uns häufig persönlich angegriffen und stufen ihn sofort unter gefährlicher Hund ein. Das Gleiche gilt auch, wenn unser Hund knurrend und bellend beispielsweise an der Leine bei Sicht eines Artgenossen nach vorne prescht. Dabei ist es in solchen Fällen wichtig zu hinterfragen, warum der Hund dieses Verhalten zeigt. Denn nicht alle Hunde, geschweige denn bestimmte Hunderassen, können pauschal als gefährlich eingestuft werden. Es handelt sich dabei immer um vereinzelte Individuen, die aus bestimmten Gründen gefährlich sind. Sind wir also nicht in der Lage, normales Aggressionsverhalten bei Hunden zu erkennen, zu lesen, einzuordnen und zu akzeptieren, ist es schwer, dies von inadäquatem Verhalten zu unterscheiden.

Zum inadäquaten Verhalten gehören vor allen Dingen, wenn der Hund in der jeweiligen Situation ein nicht angemessenes Aggressionsverhalten zeigt. Ebenso zählt das Beißen ohne erlernter Beißhemmung dazu oder der zielgerichtete Angriff auf das jeweilige Gegenüber. Viele Hundeschulen bieten Theorieseminare oder Workshops zum Thema Aggression und der Körpersprache und Kommunikation des Hundes an. Dort kannst du lernen, auf welche Anzeichen du achten musst und was sie zu bedeuten haben. Warum also nicht einmal schauen, ob etwas Interessantes für dich dabei ist?

Verschiedene Beißgrade des Hundes

Ist es zu einem Beißvorfall gekommen, stellt sich oft danach die Frage, warum der Hund zugebissen hat. Welche Motivation steckte dahinter? Und warum gerade in dieser Intensität? Wie ist die gesamte Lage einzuschätzen? War der Biss gerechtfertigt und der Situation entsprechend? Oder war diese Aggression unangemessen und gar als gefährlich einzuordnen?
Der Verhaltensforscher James O’Heare zum Beispiel, hat eine Beißgradtabelle erstellt, in der er Bisse in verschiedene Intensitäten einstuft, sechs an der Zahl. Dabei werden nicht nur die möglichen Verletzungen zwischen Hunden thematisiert, sondern auch die gegen Menschen gerichteten Bisse. Zusätzlich zieht er einen Vergleich zwischen dem Verhalten von Menschen und diesen sechs Stufen. Dies erleichtert einem Gutachter, im Ernstfall das hündische Verhalten einzuordnen und zu entscheiden: ist das ein gefährlicher Hund oder nicht?


Kristina Ziemer-Falke ist zertifizierte Hundetrainerin und Verhaltensberaterin durch die Tierärztekammer Schleswig-Holstein und das Messerli Forschungsinstitut der Veterinärmedizinischen Universität Wien. Darüber hinaus verfügt sie über viele Zusatzausbildungen und Schwerpunkte und ist im Prüfungsausschuss der Tierärztekammer Niedersachsen für die Hundetrainerzertifizierungen.
Mit ihrem Mann Jörg Ziemer gründete sie das Schulungszentrum Ziemer & Falke, in dem sie seit vielen Jahren mit viel Herz, Leidenschaft und Kompetenz Hundetrainer in ganz Deutschland ausbilden und viele Weiterbildungsangebote anbieten. Viele kennen Kristina außerdem als erfolgreiche Autorin von Fachbüchern für Hundetrainer und Hundehalter sowie aus Artikeln beliebter Hundezeitschriften. Als Dozentin ist Kristina Ziemer-Falke sehr gefragt und deutschlandweit auf Seminaren und Vorträgen zu Themen rund um den Hund anzutreffen.